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Linienelement-Theorien

Die Linienelement-Theorien sind der Versuch einer höheren Farbmetrik, d.h. einer Farbmetrik, die nicht nur Gleichheit bzw. Verschiedenheit von Farben behandelt, sondern auch Farben so quantifiziert, daß sich ein numerisches Maß für Farbunterschiede bestimmen läßt. Empirische Basis sind nicht mehr - wie bei der niederen Farbmetrik - Urteile über die Gleichheit bzw. Verschiedenheit von Farben, sondern es werden ebenmerkliche Unterschiede zugrunde gelegt. Die Grundidee der Linienelement-Theorien im Farbraum geht auf von Helmholtz (1867) zurück. Er versuchte, die Farben so zu ordnen, daß jeweils zwischen Paaren von ihnen der selbe wahrnehmungsmäßige Unterschied besteht (z.B. ein ebenmerklicher Unterschied), um daraus eine Metrik der Farben abzuleiten.

Bei einer Farbmetrik sollen die Abstände im metrischen Raum zwischen zwei Punkten dem wahrgenommenen Unterschied zwischen den durch diese beiden Punkte repräsentierten Farben entsprechen. Subjektive Unterschiede zwischen relativ ähnlichen Farben lassen sich durch eine gewichtete Summe der quadrierten Differenzen der Farbkoordinaten beschreiben; geometrisch bedeutet dies, daß die ebenmerklichen Unterschiede kleine Ellipsoide bilden. Im dreidimensionalen euklidischen Raum ist beispielsweise der Abstand tex2html_wrap_inline2784 zwischen zwei Punkten tex2html_wrap_inline2786 (mit den Koordinaten tex2html_wrap_inline2788) und tex2html_wrap_inline2790 (mit den Koordinaten tex2html_wrap_inline2792) folgendermaßen definiert:


displaymath516

Man kann aber auch komplexere Abstandsmetriken festlegen, z.B. die folgende auf der quadratischen Form tex2html_wrap_inline2794 aufbauende:


 eqnarray523

Hier sind die metrischen Koeffizienten tex2html_wrap_inline2796 eine beliebige kontinuierliche Funktion der Koordinaten tex2html_wrap_inline2788 von tex2html_wrap_inline2786, die diese quadratische Form positiv und definit machen, so daß das Abstandsmaß tex2html_wrap_inline2784 bei allen Punkten tex2html_wrap_inline2788 und für beliebige tex2html_wrap_inline2806 positiv ist. Die tex2html_wrap_inline2796 hängen dadurch nur vom jeweiligen Punkt tex2html_wrap_inline2786 ab; bei der praktischen Anwendung dieses Abstandsmaßes besteht das Hauptproblem in der Bestimmung dieser metrischen Koeffizienten.

Ein Raum, in dem das so definierte tex2html_wrap_inline2784 ein Abstandselement bezeichnet - also ein Linienelement - nennt man einen Riemannschen Raum. Unter bestimmten Bedingungen läßt sich ein Riemannscher Raum so transformieren (meist nichtlinear), daß für die transformierten Koordinaten tex2html_wrap_inline2814 ein euklidisches Abstandsmaß tex2html_wrap_inline2816 gilt; Wyszecki und Stiles (1982) bezeichnen solche Räume ebenfalls als (im weiteren Sinne) euklidisch.

Nun soll also ein Linienelement tex2html_wrap_inline2784 so definiert werden, daß es gerade dem ebenmerklichen Unterschied zwischen zwei beliebigen Farben entspricht und außerdem für alle Paare von Farben, die sich um eine Ebenmerklichkeit voneinander unterscheiden, den selben Wert annimmt. Wird eine Farbe tex2html_wrap_inline2820 als Ausgangspunkt gewählt, dann beschreiben die um tex2html_wrap_inline2784 entfernten Farben nach Gleichung 5 ein Ellipsoid mit tex2html_wrap_inline2820 als Mittelpunkt.

Begriffsklärung

In diesem Abschnitt sollen die für die Linienelement-Theorie des Farbensehens wichtigen grundlegenden geometrischen Begriffe (anschaulich) erläutert werden.

Riemannsche Geometrie

Grundlage der Riemannschen Geometrie ist das Linienelement, das sich allgemein schreiben läßt als


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wobei F(x,y) > 0 für tex2html_wrap_inline2828 und F definiert ist durch


displaymath547

Für gewöhnliche Oberflächenpunkte ist das Linienelement positiv definit.

Unter einer Riemannschen Metrik, auch als metrischer Tensorgif tex2html_wrap_inline2838 bezeichnet, versteht man eine Funktion, die ein Berechnungsverfahren für den Abstand zweier Punkte in einem gegebenen Raum angibt. Die einzelnen Komponenten des metrischen Tensors können als Skalierungsfaktoren für die Koordinatendifferenzen (tex2html_wrap_inline2840 bzw. tex2html_wrap_inline2842) betrachtet werden.

Gaußsche Krümmung

Das Konzept der Krümmung einer Oberfläche läßt sich folgendermaßen veranschaulichen: Nimmt man beispielsweise die Oberfläche einer Kugel, so läßt sich diese nicht flach auf einer Ebene ausbreiten ohne daß die ``zerknittern'' würde; man kennt dies vielleicht von Orangenschalen; dies gilt auch für Ausschnitte aus der Oberfläche. Je schmaler die Ausschnitte gewählt werden, desto geringere Verzerrungen treten beim Flachdrücken (d.h. beim Projizieren in die Ebene) auf.gif

Mit dem mathematischen Konzept der Gaußschen Krümmung, dessen Eigenschaften und Berechnungsvorschriften beispielsweise von Gray (1993) dargestellt werden, läßt sich bestimmen, welche Oberflächen ineinander überführt werden können, d.h. durch ``Verbiegen'' gleich gemacht werden können, ohne daß sie verzerrt werden. Bei der Gaußschen Krümmung handelt es sich um eine intrinsische Eigenschaft einer Oberfläche; diese bleibt erhalten, wenn die Oberfläche ``verbogen'' wird (bei Stauchung oder Streckung dagegen nicht). Eine Oberfläche, die sich in alle Richtungen ausbeult, nennt man positiv gekrümmt: Für beliebige Punkte der Oberfläche muß gelten, daß alle anderen Punkte der Oberfläche auf der selben Seite einer Ebene liegen, die die Oberfläche an diesem Punkt berührt. Eine flache Ebene und die Oberfläche eines Zylinders oder eines Kegels besitzen die Krümmung Null, sattelförmige Oberflächen weisen dagegen eine negative Krümmung auf. Die Gaußsche Krümmung bezeichnet das dazugehörige numerische Maß; sie entspricht dem Winkel, mit dem sich ein Oberflächenausschnitt öffnet, der in der Ebene ``flachgedrückt'' wird, wenn er an einer Seite aufgeschnitten ist. Konstante Gaußsche Krümmung läßt sich anschaulich so darstellen: Ein unelastisches Netz, das sich um einen Teil der Oberfläche eine Körpers mit konstanter Gaußscher Krümmung schließen läßt, passt um den gesamten Körper (dies besagt das sogenannte Gauß Theorema Egregium). Etwas formaler ist nun die folgende Darstellung:

Zur Bestimmung der Krümmung einer Oberfläche muß sichergestellt sein, daß diese kontinuierlich ist und keine Sprungstellen besitzt. Dann betrachtet man für einen bestimmten Punkt tex2html_wrap_inline2820 alle Ebenen, die diesen Punkt enthalten und senkrecht zu der diesen Punkt enthaltenden Tangenten-Ebene sind. Der Schnitt dieser Ebenen mit der Oberfläche ergibt jeweils eine Kurve, die wiederum in dem betreffenden Punkt eine bestimmte Krümmung besitzt. Bezeichnet man nun die geringste aller dieser Krümmungen mit tex2html_wrap_inline2846 und die größte mit tex2html_wrap_inline2848, so berechnet sich die Gaußsche Krümmung K der Oberfläche in diesem Punkt durch


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Die mittlere Krümmung einer Oberfläche in einem Punkt wird dagegen als tex2html_wrap_inline2852 berechnet. Die beiden Krümmungen tex2html_wrap_inline2846 und tex2html_wrap_inline2848 werden auch als Hauptkrümmungen (principal curvatures) bezeichnet.

Es ist möglich, den absoluten numerischen Wert der Gaußschen Krümmung zu berechnen als Grenzwert eines Raumwinkels geteilt durch eine Fläche. In diesem Sinne kann man die Gaußsche Krümmung auch als Flächendichte der Krümmung betrachten (ich stelle mit das wie bei einer etwas elastischen Oberfläche, z.B. eines Luftballons, vor: bei hoher positiver Krümmung wird die Oberfläche besonders gespannt und also ``dünner'', bei negativer Krümmung schiebt sie sich dagegen etwas zusammen).

Die Gaußsche Krümmung läßt sich auch vollständig aus der ersten Fundamentalform bzw. dem Linienelement
displaymath572

berechnen, wobei E, F, G die Koeffizienten der ersten Fundamentalform sind und tex2html_wrap_inline2860 eine Diskriminante:


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wobei tex2html_wrap_inline2862 die Verbindungs-Koeffizienten (connection coefficients) sein sollen. Eine weitere Möglichkeit zur Berechnung der Gaußschen Krümmung ist nach Gray (1993, S. 285) die folgende:


displaymath590

Linienelemente als Diskriminationsmaße

Die Distanz zweier mehr als ebenmerklich verschiedener Farben tex2html_wrap_inline2786 und tex2html_wrap_inline2790 (bzw. das entsprechende Linienelement) läßt sich nach folgendem Verfahren konstruieren, das auf Schrödinger (1920) zurückgeht: Man stelle sich verschiedene beliebige Linien vor, die diese beiden Punkte im Farbraum verbinden. Dann kann diejenige Linie, auf der die wenigsten ebenmerklichen Unterschiede liegen, als wahrnehmungsmäßige Distanz der beiden Farben interpretiert werden; als numerischer Wert wird hierfür die Anzahl der ebenmerklichen Unterschiede eingesetzt. Mathematisch kann dieses Maß durch Integrieren des Linienelements tex2html_wrap_inline2784 zwischen den beiden Punkten tex2html_wrap_inline2786 und tex2html_wrap_inline2790 entlang der geodätischen Linien und anschließende Division durch eine Normierungskonstante (nämlich den Wert tex2html_wrap_inline2784 des ebenmerklichen Unterschieds) beschreiben. Im euklidischen Raum handelt es sich bei diesen geodätischen Linien um Geraden zwischen den beiden Punkten, im allgemeinen Fall eines Riemannschen Raums dagegen meist um gekrümmte Linien.

Mit solchen Linienelementen lassen sich auch Konturen gleicher Ausprägungen einzelner Farbattribute im Farbraum darstellen, wenn sich ein Zusammenhang zwischen einer geometrischen Eigenschaft und dem entsprechenden Farbattribut finden läßt. Dabei können die Farbkoordinaten sowohl als Transformation der Rezeptorerregungen als auch als Transformation der Erregung der Gegenfarb-Kanäle festgelegt werden; Wyszecki und Stiles (1982) beschreiben die letztere Betrachtungsweise als die plausiblere und gebräuchlichere. Nach Schrödinger (1920) lassen sich Gleichheitskonturen für die Farbattribute Helligkeit, Farbton und Buntheit folgendermaßen bestimmen:

Helligkeit (brightness): Je weiter ein Punkt tex2html_wrap_inline2820 vom Ursprung entfernt ist, desto heller wird er empfunden; ist die Entfernung zwischen zwei Punkten tex2html_wrap_inline2786 und tex2html_wrap_inline2790 entlang einer geodätischen Linie minimal, erscheinen die beiden zugehörigen Farben gleich hell. Hält man nun den Punkt tex2html_wrap_inline2786 fest, läßt sich auf jedem Strahl vom Ursprung weg ein Punkt tex2html_wrap_inline2790 finden, der bei gleicher Entfernung zum Ursprung minimal vom Punkt tex2html_wrap_inline2786 entfernt ist. Alle derartigen Punkte zusammen definieren eine Oberfläche im Farbraum, die als Kontur gleicher Helligkeit zu tex2html_wrap_inline2786 aufgefaßt werden kann. Dieses Verfahren läßt sich für verschiedene Entfernungen zum Ursprung und somit für verschiedene Helligkeiten durchführen.

Farbton (hue): Auf einer Oberfläche gleicher Helligkeit lassen sich nun Linien gleichen Farbtons bestimmen, die alle ihren Ursprung am Punkt tex2html_wrap_inline2890 haben, der einem achromatischen Reiz mit der entsprechenden Helligkeit entspricht. Diese Linien lassen sich nun wieder für verschiedene Helligkeiten ermitteln; alle diese Linien zusammen bilden dann eine Kontur konstanten Farbtons.

Buntheit (chroma): Auf einer Oberfläche konstanter Helligkeit lassen sich aber auch Linien gleicher Buntheit bestimmen; hierbei handelt es sich um konzentrische Riemannsche Kreise, deren Ursprung wieder im Punkt tex2html_wrap_inline2890 liegt, der den achromatischen Reiz entsprechender Helligkeit entspricht.

Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang lautet, ob sich ein dreidimensionaler Riemannscher Raum mit gegebenen Linienelementen tex2html_wrap_inline2784 auf einen dreidimensionalen euklidischen Raum abbilden läßt oder in diesen eingebettet werden kann, unter der Restriktion, daß Gleichheit von Distanzen bewahrt bleibt. Dazu müßten sich drei Funktionen tex2html_wrap_inline2896 finden lassen, für die gilt


displaymath644

Diese Forderung wurde bereits oben für euklidische Räume im weiteren Sinne gestellt. Triff diese Forderung für einen Riemannschen Raum nicht zu, kann er dennoch in einen euklidischen Raum eingebettet werden, der dann allerdings eine Dimension m von mehr als drei besitzt:


displaymath646

Die maximale Dimension m eines euklidischen Raumes, auf den ein Riemannscher Raum der Dimension n abgebildet werden kann, berechnet sich nach der Gleichung


displaymath648

Für einen dreidimensionalen Riemannschen Raum wäre also maximal ein sechsdimensionaler euklidischer Raum erforderlich; für einen zweidimensionalen Riemannschen Raum würde hingegen ein dreidimensionaler euklidischer Raum ausreichen. Ein zweidimensionaler Riemannscher Raum liegt vor, wenn man nur Konturen gleicher Ausprägung eines Farbattributs (wie oben beschrieben) betrachtet. Farben gleicher Helligkeit lassen sich dann beispielsweise als Punkte auf einer Oberfläche in einem dreidimensionalen euklidischen Raum repräsentieren. Die Koordinaten dieser Punkte im euklidischen Raum wären eine Funktion der Farbwerte des Reizes und sie sind so gewählt sind, daß zwei Punkte, deren Distanz gleich tex2html_wrap_inline2784 ist, als gerade merklich verschieden empfunden werden (und umgekehrt).

Die charakteristischen Merkmale der Einbettung eines Raumes auf der Grundlage des Linienelements werden durch beliebige kontinuierliche Transformationen der Farbkoordinaten nicht verändert und lassen sich mathematisch durch die Gaußsche Krümmung bestimmen, die von den Koeffizienten tex2html_wrap_inline2796 des Linienelements abhängt: Für eine längentreue Abbildung eines Raumes in einen anderen Raum gleicher Dimension ist die selbe Gaußsche Krümmung aller einander entsprechenden Punkte notwendig und hinreichend; im euklidischen Raum beträgt diese immer Null. Findet man nun in einem Riemannschen Raum Punkte mit von Null verschiedener Krümmung, läßt sich dieser Raum auf keinen Fall in einen euklidischen Raum der selben Dimension abbilden.

Linienelemente lassen sich auch dann anwenden, wenn der Farbraum nicht euklidisch ist. Sie lassen sich durch Schwellenmessungen und Berechnung der Standardabweichung bei Farbabgleichen empirisch ermitteln. Hauptproblem ist die Bestimmung der metrischen Koeffizienten tex2html_wrap_inline2796. Mittels einer induktiven Methode lassen sie sich aus Theorien zur Funktionsweise bestimmter visueller Mechanismen zusammen mit experimentell erhobenen Schwellen bestimmen; empirisch können die Koeffizienten als Funktion der Farbwerte tex2html_wrap_inline2788 ermittelt werden, indem Unterschiedsschwellen (oder Streuungsmaße bei Farbabgleichen) für weite Teile des Farbraums bestimmt werden.

Von Helmholtz (1891)

Die Grundlage der Linienelement-Theorie von von Helmholtz bildet das Weber-Fechnersche Gesetz, das von Helmholtz (1867) zuerst nur auf die Wahrnehmbarkeit von Helligkeitsunterschieden anwendet. In der einfachsten Form formuliert er die Wahrnehmungsschwelle tex2html_wrap_inline2912 für einen Helligkeitsunterschied tex2html_wrap_inline2914 bei einer anfänglichen Helligkeit H entsprechend dem Weberschen Gesetz als tex2html_wrap_inline2918, wobei A bei mittleren Beleuchtungsstärken als konstant angenommen wird. Dieses Modell wird dann dahingehend elaboriert, daß eine Abhängigkeit der Konstante A von der Helligkeit in der Form tex2html_wrap_inline2924 postuliert wird, wobei a und b Konstanten sind und b als sehr groß angenommen wird. Außerdem postuliert er noch ein ``Eigenlicht'' tex2html_wrap_inline2932 des Auges, das zur Helligkeit des Reizes hinzukommt. So gelangt er zur folgenden Formel für einen wahrnehmbaren Helligkeitsunterschied:


displaymath662

1891 entwickelt von Helmholtz dieses Modell weiter, indem er nicht die gesamte Helligkeit, sondern die Erregung der drei Farbsysteme betrachtet. Er entwickelt folgende Hypothese zur Deutlichkeit des Unterschieds zweier Farben (x, y, z) und tex2html_wrap_inline2936


displaymath666

wobei die Konstanten a, b, c die Farbwerte des ``Eigenlichts'' (also der Aktivität bei völliger Abwesenheit einer Reizgrundlage) bezeichnen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind die kürzesten Farbenreihen, also ``diejenigen Reihen von Übergangsfarben zwischen zwei gegebenen Endfarben von verschiedener Qualität und Quantität..., für welche die Summe der wahrnehmbaren Unterschiede ein Minimum ist, welche Reihen also den kürzesten Linien im Farbensystem entsprechen würden'' (von Helmholtz, 1891, S. 1073). Mit dieser Theorie versucht von Helmholtz (1891) eine Reihe verschiedener empirischer Befunde zu erklären.

Von Helmholtz (1896) versucht, die metrischen Koeffizienten tex2html_wrap_inline2796 des Linienelements auf der Grundlage der drei-Komponenten-Theorie des Farbensehens und des Weberschen Gesetzes zu bestimmen: Dem Farbensehen liegen drei Zapfenmechanismen mit den spektralen Reaktionsfunktionen tex2html_wrap_inline2942 zugrunde, die sich als Linearkombinationen der drei empirisch bestimmbaren Farbwertkurven tex2html_wrap_inline2944 berechnen lassen:


 eqnarray682

Somit lauten die Reaktionen dieser drei Mechanismen auf eine Strahlung mit der spektralen Verteilung tex2html_wrap_inline2946


eqnarray707

Helmholtz (1896) nimmt weiter an, daß die Unterschiedsschwelle dieser drei Mechanismen nach dem Weberschen Gesetz von deren Erregungsniveau abhängt; außerdem wird angenommen, daß für mittlere Leuchtdichte-Niveaus der Weber-Bruch etwa konstant ist, d.h. tex2html_wrap_inline2948 const. Außerdem wird angenommen, daß sich ein ebenmerklicher Unterschied (bzw. das Linienelement tex2html_wrap_inline2784) wie folgt berechnen läßt:


 eqnarray721

Zur Überprüfung dieser Vorstellung greift von Helmholtz auf die Koeffizienten tex2html_wrap_inline2952 aus Gleichung 6 zurück, die so gesetzt werden, daß sie empirische Ergebnisse zur Unterscheidbarkeit monochromatischer Reize unterschiedlicher Wellenlänge vorhersagen können. Die so errechneten Farbwertkurven tex2html_wrap_inline2942 stimmen jedoch nicht mit den heute bekannten Absorptionsspektren der drei Farbpigmente überein. Diese Linienelemente können deshalb nicht zutreffen, wenn jeder der drei Mechanismen nur einen Sehfarbstoff besitzt.

Vos und Walraven (1972a) leiten aus dem von Helmholtzschen Linienelement folgende Formel zur Bestimmung des ebenmerklichen Unterschieds zwischen einem monochromatischen Reiz mit den Koordinaten (R, G, B) und einem in der Wellenlänge um tex2html_wrap_inline2958 veränderten zweiten monochromatischen Reiz her:


displaymath735

Die Helmholtzschen Linienelemente würden Konturen gleicher Helligkeit nach folgender Beziehung - die empirisch nicht haltbar ist - vorhersagen:


displaymath745

Schrödinger (1920)

Schrödinger (1920) führt folgende drei Annahmen ein, auf denen das von ihm propagierte Linienelement basiert:

  1. Die Funktion tex2html_wrap_inline2960 bezeichne die Verschiedenheit zwischen den beiden Farben tex2html_wrap_inline2962 und tex2html_wrap_inline2964. Gilt nun tex2html_wrap_inline2966, tex2html_wrap_inline2968 und tex2html_wrap_inline2970, dann gilt für den quadrierten Abstand:


    displaymath750

    wobei die metrischen Koeffizienten tex2html_wrap_inline2972 in dieser Gleichung eine Funktion von tex2html_wrap_inline2974 sind und angenommen wird, daß tex2html_wrap_inline2976. Diese quadratische Form beschreibt eine Ellipse und durch diese Gleichung ist eine riemannsche Metrik für die Mannigfaltigkeit von Zahlentripeln tex2html_wrap_inline2962 bestimmt, wenn man tex2html_wrap_inline2784 als das Linienelement dieser Mannigfaltigkeit auffaßt.

  2. Für zwei Farben, die sich gerade ebenmerklich unterscheiden, können die tex2html_wrap_inline2842 (und somit auch die tex2html_wrap_inline2784) als Differentiale angesehen werden (denn die tex2html_wrap_inline2972 variieren bei ebenmerklich verschiedenen Farben nicht so stark, daß Sprungstellen auftreten); außerdem hat tex2html_wrap_inline2784 für jedes ebenmerklich verschiedene Farbenpaar den selben Wert. Dies führt unter anderem dazu, daß die Diskriminationsellipsen gleich groß sind. Der konkret für tex2html_wrap_inline2784 gewählte Wert ist nicht von Bedeutung, es handelt sich nur um eine Normierungskonstante.
  3. Die Verschiedenheit von zwei beliebigen Farben hängt von der Größe tex2html_wrap_inline2992 ab, die für die kürzeste Verbindungslinie (geodätische Linie) zwischen den beiden Farbpunkten bestimmt wird. Als kürzeste Linie wird diejenige verwendet, bei denen dieses Integral den kleinsten Wert annimmt. Zwei Farben sind damit um so ähnlicher, je weniger ebenmerkliche Unterschiede zwischen ihnen liegen, wenn man diese Zwischenstufen so wählt, daß jeweils eine minimale Anzahl solcher Schritte zwischen den beiden Endpunkten liegt.

Nun müssen die metrischen Koeffizienten tex2html_wrap_inline2972 bestimmt werden. Sie würden sich prinzipiell durch empirische Bestimmung der Unterschiedsempfindlichkeit für alle Richtungen, in die sich eine Farbe ändern kann, bestimmen lassen. Schrödinger (1920) hält diesen Weg jedoch für zu aufwendig; MacAdam (1942b) Brown und MacAdam (1949) und Brown (1957) beschreiten ihn aber später.

Zuerst wird auf der Grundlage der von Schrödinger (1920) behaupteten Additivität der Helligkeit h von Farben


displaymath764

folgende homogene Form für den Helligkeitsparameter bestimmt:
displaymath766

Diese Summe läßt die Kontur gleicher Helligkeitgif im Farbraum zu einer Ebene werden. Daraus entwickelt Schrödinger (1920) nun sein Linienelement, welches versucht, die Unzulänglichkeiten der von Helmholtzschen Theorie durch folgende Änderung auszubessern:


displaymath769

Die metrischen Koeffizienten sollen dabei folgendermaßen berechnet werden:


eqnarray779

Schrödinger legt seinen Berechnungen die König-Fundamentals als spektrale Empfindlichkeitskurven der drei Mechanismen zugrunde und weist darauf hin, daß dieses Linienelement nur für die ``wahren Grundfarben'' gilt. Im Schrödingerschen Raum sind Leuchtdichte und Wellenlänge orthogonal zueinander; dies ist bei den von Helmholtzschen Linienelementen nicht der Fall.

Bei geeigneten Schätzwerten für tex2html_wrap_inline2998 stimmen die vom (nach Schrödinger bestimmten) Linienelemente vorhergesagten Helligkeiten und die empirisch ermittelte Hellempfindlichkeitsfunktion tex2html_wrap_inline3000 gut überein. Es läßt sich auch der Abney-Effekt vorhersagen, der Betzhold-Brücke-Effekt hingegen nicht, was Schrödinger (1920) damit begründet, daß seine Theorie auf der Fechnerschen aufbaut und deshalb nur in deren Gültigkeitsbereich zutrifft. Würden aber noch - ähnlich wie bei Helmholtz (1891) - Parameter für das ``Eigenlicht'' des Auges hinzugenommen, könnte sich auch dieses Phänomen durch Linienelemente beschreiben lassen.

Schrödinger (1920) zeigt auch selbst, daß sich die Daten zur Unterscheidbarkeit monochromatischer Reize unterschiedlicher Wellenlänge durch sein Linienelement gut vorhergesagt werden. Nach Vos und Walraven (1972a) bestimmt sich der ebenmerkliche Unterschied zwischen einem monochromatischen Reiz mit den Koordinaten (R, G, B) und einem zweiten monochromatischen Reiz, dessen Wellenlängenmaximum und tex2html_wrap_inline2958 verschoben ist, folgendermaßen:


displaymath787

Zur Bestimmung der geodätischen Linien nimmt Schrödinger folgende Ersetzungen vor:
displaymath798

so daß die Gleichung für das Linienelement nun lautet
displaymath803

Im Raum der tex2html_wrap_inline3006 muß die Geodätische zwischen zwei Farben X und Y eine ebene Kurve in der Ebene tex2html_wrap_inline3012 sein, wie von Schrödinger (1920) gezeigt wird. Verändert man nur die Helligkeit eines Reizes, bewegt man sich auf einer Geodätischen. Schrödinger (1920) zeigt außerdem, daß sich das Verschiedenheitsmaß für zwei Farben Y und Z aus dem Helligkeitsunterschied und dem Farbunterschied zusammensetzt, wie z.B. in folgender Gleichung zu erkennen ist:


eqnarray809

Schrödinger (1920) weist außerdem nach, daß die Menge aller geodätischen Linien auf einer Ebene konstanter Helligkeit genau der Menge der Ellipsen entspricht, die die Unterscheidbarkeit von Farben repräsentieren.

Stiles (1946)

Stiles (1946) modifiziert die Helmholtzsche Linienelement-Theorie ebenfalls, aber nicht so drastisch wie Schrödinger: Er geht im wesentlichen von drei unabhängigen Mechanismen aus, die jeweils durch eine eigene spektrale Empfindlichkeitsfunktion gekennzeichnet sind. Um keine Interaktion der drei Mechanismen bei der Bestimmung des Linienelements zu erhalten, müssen die Primärreize so gewählt werden, daß jede genau einen Zapfenmechanismus (und nur diesen) erregt.; es kommen also nur imaginäre Primärreize in Frage.

Ausgangspunkt von Stiles (1946) sind die von ihm erhobenen Daten zur Farbdiskrimination: Auf ein 10tex2html_wrap_inline3018 großes monochromatisches Umfeld der Wellenlänge tex2html_wrap_inline3020 und der Leuchtdichte tex2html_wrap_inline3022 wird für sehr kurze Zeit (63 Millisekunden) in der Mitte ein 1tex2html_wrap_inline3018 großes monochromatisches Quadrat der Wellenlänge tex2html_wrap_inline2504 hinzuprojiziert und dabei wird die Schwelle für die Leuchtdichte tex2html_wrap_inline3028 bestimmt, ab der der Beobachter bei 50% der Darbietungen das Inkrement wahrnehmen kann. Nach wiederholten Messungen kann für den einen Beobachter eine Schar empirischer Funktionen von logtex2html_wrap_inline3030 gegen logtex2html_wrap_inline3022 bestimmt werden. Unter Vernachlässigung der bei extrem hohen Leuchtdichten auftretenden Anomalien lassen sich diese Funktionen als Ergebnis von drei festen Funktionen interpretieren, deren Position auf der Ordinate logtex2html_wrap_inline3022 von tex2html_wrap_inline2504 und tex2html_wrap_inline3020 abhängt. Aus dieser Verschiebung entlang der Achse kann man auf die spektrale Empfindlichkeit der retinalen Reaktionssysteme zurückschließen. Es ergeben sich für die drei Reaktionsmechanismen verschiedene Weber-Brüche und nicht, wie von von Helmholtz postuliert, gleiche.

Aufgrund dieser Beobachtungen postuliert Stiles (1946) folgendes Linienelement:
 eqnarray830

wobei für den hier untersuchten Beobachter tex2html_wrap_inline3040, tex2html_wrap_inline3042 und tex2html_wrap_inline3044 gilt. Diese Konstanten sind proportional zu den Weber-Brüchen der drei Reaktionssysteme bei hohen Leuchtdichten, d.h. dem Quotienten aus ebenmerklicher Helligkeitsänderung und Helligkeit des Hintergrunds. Mit diesen Werten können die empirisch bestimmten Funktionen tex2html_wrap_inline3046, tex2html_wrap_inline3048 und tex2html_wrap_inline3050 (die den Kehrwert der empirisch bestimmten Wahrnehmbarkeitsschwelle für Inkremente bei den drei Farbmechanismen R, G, B bezeichnen) näherungsweise folgendermaßen berechnet werden:


eqnarray839

Zwischen den Zapfenreaktionen R, G, B und den CIE-1931-Farbwerten nimmt Stiles (1920) folgenden linearen Zusammenhang an, der den spektralen Empfindlichkeitsfunktionen mit einem Maximum bei 580, 540 bzw. 445 nm entspricht:


 eqnarray847

Bei hohen Leuchtdichten reduziert sich das in Gleichung 8 definierte Linienelement zu folgender einfacher Form, die dem von Helmholtzschen Linienelement in Gleichung 7 sehr ähnlich ist:


eqnarray861

Dieses Linienelement sagt einige experimentelle Beobachtungen gut vorher, beispielsweise ebenmerkliche Wellenlängenunterschiede, spektrale Hellempfindlichkeiten und Farbunterschiedsschwellen in Form von MacAdam-Ellipsen; allerdings existieren auch experimentelle Befunde, die dieses Linienelement nicht erklären kann:

Berechnung der spektralen Hellempfindlichkeitskurve

Die spektrale Hellempfindlichkeitsfunktion läßt sich mit Hilfe der Linienelemente auf die folgende Weise bestimmen: Man geht von Paaren monochromatischer Reize aus, die sich in ihrem Farbton ebenmerklich unterscheiden. Dann wird die Leuchtdichte des einen Reizes vom Betrachter so verändert, daß dieser die beiden Reize für maximal ähnlich hält. Dieses Vorgehen wird für verschiedene Reizpaare entlang des sichtbaren Spektrums wiederholt. Sei S = R + G + B, dann gilt für die Farbwertanteile (r, g, b) und (r', g', b') der beiden monochromatischen Reize


eqnarray870

und analog für g, g', b und b'. Das Linienelement berechnet sich dann folgendermaßen:


displaymath880

Durch Variieren von S' bei Konstanthalten von r', g', b' wird die Leuchtdichte des entsprechenden Reizes variiert, ohne daß sich dabei dessen Farbton verändert. Nach mehreren Umformungen und Vereinfachungen gelangt man aus diesem Linienelement zur spektralen Hellempfindlichkeitsfunktion


displaymath888

wobei c eine Normierungskonstante ist, die dazu dient, daß tex2html_wrap_inline3000 bei 555 nm den Wert Eins annimmt, und tex2html_wrap_inline3074 die Farbwertkurven bezeichnen.

Die auf diese Weise berechnete Hellempfindlichkeitskurve stimmt mit der empirisch gemessenen relativ gut überein, nur im kurzwelligen (blauen) Bereich nimmt die theoretische Kurve höhere Werte als die empirische an. Eine mögliche Erklärung sehen Wyszecki und Stiles (1982) darin, daß bezüglich der Helligkeit keine Additivität vorliegt, d.h. die Leuchtdichte der Mischung zweier (monochromatischer) Reize entspricht nicht der Summe der beiden einzelnen Leuchtdichten (eine ausführliche Darstellung hierzu findet sich im Kapitel 5.8.2. von Wyszecki und Stiles, 1982).

Berechnung der Wellenlängen-Diskrimination

Aus dem im vorigen Abschnitt beschriebenen Linienelement läßt sich auch die Unterschiedsschwelle für monochromatische Reize unterschiedlicher Wellenlänge (kurz als Farbtongrenze oder hue limen bezeichnet) berechnen; hierfür verwendet Stiles (1946) folgende etwas unhandliche Formel:


eqnarray902

wobei für tex2html_wrap_inline3076 gilt
displaymath946
und Analoges für tex2html_wrap_inline3078 und tex2html_wrap_inline3080.

Die von diesen Linienelementen vorhergesagten ebenmerklichen Wellenlängenunterschiede sind proportional zu den empirisch bestimmten, nur im kurzwelligen Bereich sind die vorhergesagten Werte etwas zu niedrig, wie in Abbildung 3 zu sehen ist. Dies kann daran liegen, daß bei der experimentellen Bestimmung der Unterscheidbarkeit monochromatischer Reize höhere Intensitäten (bis zur zwanzigfachen) verwendet werden mußten, während bei den Vorhersagen durch das Linienelement von konstanter Helligkeit ausgegangen wird.

 figure957
Abbildung:   Theoretische und empirische Unterschiedsschwelle für Spektralfarben: In dieser Abbildung sind nochmals durch Punkte gekenzeichnet die Schwellen für Farbunterschiede der Versuchsperson GW von Bedford und Wyszecki (1958) für verschiedene Reizgrößen eingezeichnet. Die eng gepunktete Linie stellt die vom Linienelement nach Stiles (1946) vorhergesagten Unterschiedsschwellen dar; die Werte wurden aus der Tabelle 1 von Stiles (1946) entnommen.

Allgemeine Farbton-Unterscheidbarkeit

Die Unterscheidbarkeit von beliebigen Farben in der Normfarbtafel läßt sich durch Linienelemente vorhersagen, wenn man deren Helligkeit konstant hält; gleiche Helligkeit bedeutet hier, daß die gleiche Anzahl an Photonen absorbiert werden muß, wie Trabka (1968a) zeigt. Zur Bestimmung der Farbwerte (R, G, B) im Rezeptorraum wendet Stiles (1946) die Transformation aus Gleichung(9 für die Normfarbwertanteile an. Aus den Farbkoordinaten in der Normfarbtafel lassen sich so bei konstanter Leuchtdichte die Unterschiedsschwellen für die einzelnen Primärreize bestimmen als


displaymath966

wobei die tex2html_wrap_inline3084 die Einträge der obigen Transformationsmatrix bezeichnen und für tex2html_wrap_inline3086 und tex2html_wrap_inline3088 analoge Beziehungen angenommen werden. Für das vollständige Linienelement gilt dann


 eqnarray978

wobei hier folgende Ersetzungen gelten:


eqnarray1005

Die so berechneten Linienelemente besitzen eine quadratische Form, die verwendet werden kann, um Unterscheidbarkeits-Ellipsen in der Normfarbtafel einzuzeichnen. Stiles (1946) erhält Ellipsen, die in Abbildung 4 zu sehen sind, mit ähnlicher Orientierung wie diejenigen von MacAdam (1942), allerdings sind sie zwanzigfach größer; ihre Fläche ist jedoch etwa zur Fläche der entsprechenden Ellipsen bei MacAdam (1942) proportional.

 figure1041
Abbildung 4:   Diskriminationsellipsoide nach Stiles (1946): In dieser Abbildung sind die von Stiles (1946) berechneten Diskriminationsellipsen (in dreifacher Vergrößerung) sowie deren Hauptachsen zu sehen. Für die Zeichnung wurden die von Stiles (1946) in der Tabelle 2 angebenen Parameter verwendet.

Gaußsche Krümmung des Farbraums

Im vorigen Abschnitt wurde festgestellt, daß sich die vom Linienelement geschätzten Diskriminations-Ellipsoide von den empirisch von MacAdam (1942) bestimmten unterscheiden. Dieser Unterschied läßt sich anhand der Gaußschen Krümmung spezifizieren: Die Diskriminationsellipsen von Reizen mit den Koordinaten (x, y) in der Normfarbtafel (bei kontanter Leuchtdichte) können durch ein Linienelement eines zweidimensionalen Riemannschen Raums beschrieben werden:


displaymath1049

Außerdem sei g die Determinante der Transformationsmatrix tex2html_wrap_inline3094. Wird ein zweidimensionaler Riemannscher Raum auf einen beliebigen dreidimensionalen Raum abgebildet, entsteht eine Oberfläche mit der Gaußschen Krümmung K, die sich aus dem Linienelement folgendermaßen bestimmen läßt:


eqnarray1062

Wie man sieht, hängt die Gaußsche Krümmung nur vom Farbort (x,y) und der Transformationsmatrix tex2html_wrap_inline3100 ab. Wendet man diese Gleichung auf die Berechnung des Linienelements nach Gleichung 10 an, findet man zwar eine Abhängigkeit der Krümmung K vom Farbort (x,y), aber man erhält für positive Farkoordinaten immer eine negative Krümmung. Stiles (1946) leitet im Anhang seiner Arbeit folgende etwas einfachere Formel zur approximativen Bestimmung der Gaußschen Krümmung des Farbraums am Ort (R, G, B) her:


displaymath1095

wobei tex2html_wrap_inline3108 als konstant angenommen wird und er folgende weiteren Konstanten berechnet:


eqnarray1099

Wichtig an den hier dargestellten Überlegungen zur Gaußschen Krümmung des Farbraumes ist nun, daß der Term tex2html_wrap_inline3110 wegen des negativen Wertes von tex2html_wrap_inline3112 immer negativ ist und somit auch die aufgrund des Linienelements vorhergesagte Gaußsche Krümmung K (ebenso wie die von Wyszecki und Stiles berechnete Gaußsche Krümmung). Die aus den empirischen Daten von MacAdam (1942) bestimmte Gaußsche Krümmung ist dagegen manchmal positiv und manchmal negativ. Es läßt sich also prinzipiell keine Transformation finden, die die empirische und die aus dem Linienelement vorhergesagten Oberflächen gleichen Farbabstandes ineinander überführen (siehe hierzu auch Wyszecki & Stiles, 1982).

Die Riemannschen Oberflächen, die entweder aus dem Linienelement oder aus den MacAdam-Ellipsen bestimmt werden können, lassen sich in einen dreidimensionalen euklidischen Raum einbetten. Auf einer solchen Oberfläche wird jede Ellipse zu einem Kreis mit gleichem Radius; man gelangt so zu einem Oberfläche gleichen Farbabstands (uniform-chromaticity-scale surface). Wenn tex2html_wrap_inline3116 die kartesischen Koordinaten im euklidischen Raum bezeichnen, dann repräsentiert das Linienelement den quadrierten Abstand zwischen zwei nebeneinander liegenden Punkten auf der Oberfläche. Betrachtet man die kartesischen Koordinaten als Funktion des Farbortes (x,y), also
displaymath1103

dann lautet die Formel für das Linienelement


eqnarray1105

Wyszecki und Stiles (1982, S. 668 f.) geben für die Bestimmung der metrischen Koeffizienten folgende Formeln an:


eqnarray1131

Vergleicht man die beiden letzten Gleichungen, erkent man den Mechanismus der Funktionen tex2html_wrap_inline3120:


 eqnarray1190

Durch Bilden des Anti-Logarithmus erhält man daraus


eqnarray1202

Schließlich erhält man durch Eliminieren von x und y aus diesen Gleichungen die Formel für die Oberfläche der gleichförmigen Farbabstandsskala:


 eqnarray1222

wobei


eqnarray1228

Konturen gleichen Farbtons und gleicher Buntheit

Bereits am Anfang dieses Kapitels wurde die auf Schrödinger (1920) zurückgehende Idee aufgegriffen, Konturen gleichen Farbtons und gleicher Buntheit aus dem Linienelement abzuleiten: Auf einer Oberfläche konstanter Helligkeit bezeichnen die Orte konstanten Farbtons geodätische Linien, die alle an einem Punkt starten, der einem achromatischem Reiz der selben Helligkeit entspricht, und am Spektralzug enden. Orte konstanter Buntheit sind geodätische Kreise um den ``achromatischen'' Punkt herum. Die Berechnung dieser Linien und Kreise ist sehr unhandlich und wird von Wyszecki und Stiles (1982, S. 670 ff.) beschrieben.

Trabka (1968a, 1968b)

Trabka (1968a, 1968b) wendet die Konzepte der Signalentdeckungstheorie auf das Linienelement von Stiles (1946) an. Er betrachtet die einzelnen Zapfen als nicht-ideale Empfänger von elektromagnetischen Schwingungen; alle Rezeptoren eines Typs zusammen werden als ein Detektor-Mechanismus betrachtet. Den Signal-Rausch-Abstand (Signal-to-Noise Output) der drei Rezeptortypen bestimmt Trabka (1968a) nach folgender Formel:


displaymath1248

wobei folgende Definitionen gelten:

m bezeichnet die durchschnittliche Rate der vom jeweiligen Zapfentyp absorbierten Photonen. Für die von Trabka (1968a) dargestellten Überlegungen handelt es sich dabei um monochromatische Reize der Wellenlänge tex2html_wrap_inline2504; genau genommen müßte man deshalb tex2html_wrap_inline3130 schreiben, da der konkrete Wert von m wellenlängenabhängig ist.

tex2html_wrap_inline3134 bezeichnet den Unterschied zwischen den beiden zu vergleichenden Reizen;

tex2html_wrap_inline3136 bezeichnet die Totzeit der Rezeptoren in Millisekunden, also diejenige Zeitspanne nach der Absorption eines Photons, in der die Absorption eines weiteren Photons den Rezeptoroutput nicht weiter verändert. Trabka (1968b) empfiehlt, hierfür einen Wert von 7 Millisekunden einzusetzen.

b und c sind Konstanten, die vom ``Eigenlicht'' tex2html_wrap_inline3142 der Augengif und von der ``Auszeit'' tex2html_wrap_inline3136 abhängen:
eqnarray1257

Nun nimmt Trabka (1968a) an, daß bei zunehmendem Signal-Rausch-Abstand auch die Veränderung des Outputs der Detektor-Mechanismen und somit der wahrgenommene Abstand zwischen den beiden Reizen zunimmt. Für diesen Abstand definiert er für ein System aus N verschiedenen Empfängern folgendes Linienelement:


 eqnarray1264

Hierbei bezeichnet tex2html_wrap_inline3148 eine Skalierungskonstante. Das Linienelement ist also eine Summe des Signal-Rausch-Abstands am Output von verschiedenen Rezeptoren, die sich nur in ihrer spektralen Absorptionsfunktion tex2html_wrap_inline3150 und in ihrem Verstärkungsmechanismus tex2html_wrap_inline3152 unterscheiden. Trabka (1968a) zeigt, daß die Werte für diese Verstärkungsmechanismen den Faktoren tex2html_wrap_inline3154 im Linienelement von Stiles (1946) entsprechen. Die Weber-Brüche tex2html_wrap_inline3156 sind damit umgekehrt proportional zur Wurzel aus der Quantenausbeute der Vestärkungsmechanismen.

Wie von Trabka (1968a) gezeigt wird, impliziert Konstanthalten der Helligkeit, daß tex2html_wrap_inline3158 gelten muß. Gilt hingegen, daß tex2html_wrap_inline3160 konstant ist, dann liegt ein konstanter Farbton vor.

Trabka (1968a) weist auch auf den Zusammenhang zwischen dem Nenner in Gleichung 13 und den Funktionen tex2html_wrap_inline3162 von Stiles (1946) hin. Letzterer nennt folgenden empirischen Zusammenhang für tex2html_wrap_inline3164:


displaymath1279

wobei er für a = 1, b=0.3 und c = 0.0125 empfiehlt. Trabka (1968a) zeigt, daß seine Version des Linienelements zu beinahe identischen Vorhersagen kommt wie die Formulierung von Stiles (1946). Er zeigt außerdem, daß sich auf diese Weise die spektrale Hellempfindlichkeitsfunktion und die Unterscheidbarkeitsschwelle für Farbtonunterschiede sowohl von normalen Trichromaten als auch von Dichromaten gut vorhersagen lassen; würde man dagegen einen idealen Detektor postulieren, würden sich für Dichromaten abweichende Vorhersagen ergeben.

Vos und Walraven (1972a, 1972b)

Von Vos und Walraven (1972a, 1972b) stammt die komplexeste Linienelement-Theorie. Sie basiert auf der Quantennatur des Lichts und gilt für foveales Sehen von 2tex2html_wrap_inline3018 großen Feldern. Im Rahmen dieser Erläuterungen bezeichnet R, G und B die Anzahl der vom entsprechenden Zapfentyp absorbierten Photonen. Dieser Theorie liegen folgende Annahmen zugrunde:

  1. Farbwahrnehmung ist ein zweistufiger Prozeß: Zuerst werden auf der Rezeptorebene drei verschiedene Zapfenarten aktiviert, die dann auf neuronaler Ebene drei Gegenfarb-Mechanismen speisen.
  2. Die Grenze der Farbunterscheidbarkeit wird durch Variabilität in der Absorption von Photonen gesetzt. Bei höheren Leuchtdichten können Sättigungs- bzw. Hypersaturierungs-Phänomene auftreten, die dazu führen, daß das Farbdiskriminationsvermögen nicht so hoch ist wie alleine aufgrund der Varianz in den Farbkanälen zu erwarten wäre.
  3. Die Signale der Gegenfarbkanäle vereinigen sich in einer positiv definiten quadratischen Form zu einem Output-Signal, das direkt proportional zum ebenmerklichen Unterschied zwischen zwei Reizen ist.

Niedrige Leuchtdichten

Zuerst werden Reize niedriger Leuchtdichte betrachtet: Der Signal-Rausch-Abstand des Outputs der Zapfen eines Typs kann für tex2html_wrap_inline3178 betrachtet werden als tex2html_wrap_inline3180, wobei tex2html_wrap_inline3182 die durchschnittliche Anzahl der innerhalb einer Sekunde vom Rezeptortyp i absorbierten Quanten angibt. Unter der Annahme, daß die gemeinsame Reaktion der drei Zapfenmechanismen R, G, B gleich der Wurzel aus der Summe der quadrierten einzelnen Zapfenreaktionen ist, erhält man folgende Formel für das physikalische Linienelement:


 eqnarray1291

wobei R, G, B die Reaktionen der drei unabhängig voneinander arbeitenden Mechanismen sind, die sich über Lineartransformationen aus den CIE-1931-Spektralwertkurven tex2html_wrap_inline2944 berechnen lassen. Dieses Linienelement zeigt eine gewisse Ähnlichkeit zu demjenigen von Schrödinger, das jedoch die drei Komponenten noch entsprechend der Leuchtdichte gewichtet und so das Webersche Gesetz berücksichtigt. Dies ist bei dem Modell von Vos und Walraven (1972a) nicht der Fall: Der Weber-Bruch ist hier nicht konstant, sondern erhöht sich mit der Wurzel der Leuchtdichte, was im Bereich der absoluten Schwelle auch durchaus sinnvoll ist.

Im Modell von Vos und Walraven (1972a) werden jedoch nun nicht die Reaktionen der Zapfentypen wie in Gleichung 14 angegeben betrachtet, sondern drei aus diesen generierte Gegenfarb-Signale, die folgendermaßen bestimmt werden:

Erstes Farbsignal (rot-grün): F = R/G.

Zweites Farbsignal (gelb-blau): S = (R+G)/B = Y/B.

Achromatisches Signal (weiß-schwarz): L = R+G+B.

Diese drei Farbsignale werden dann zusammen mit Gewichtungsfaktoren tex2html_wrap_inline3196 der Farbkanäle (die das Adaptationsniveau charakterisieren) sowie den Standardabweichungen tex2html_wrap_inline3198 der internen Schwankungen in den L, F, S-Signalen zur Berechnung des physiologischen Linienelements eingesetzt:


 eqnarray1310

Vos und Walraven (1972b) zeigen, wie man die Faktoren tex2html_wrap_inline3198 ebenfalls durch die Rezeptorerregung R, G, B ausdrücken kann (siehe unten). Sie nehmen nun an, daß das gemeinsame Output-Signal tex2html_wrap_inline2784 direkt proportional zum ebenmerklichen Farbunterschied zweier Reize ist. Dieses Linienelement läßt sich nach Vos und Walraven (1972b) auch so umrechnen, daß nur die Zapfenreaktionen R, G, B als Variablen darin vorkommen. Nach Umformen erhält man dann:


eqnarray1319

Setzt man die Leuchtdichte L = R+G+B und die Farbwertanteile r = R/L sowie g = G/L und b = B/L, dann erhält man nach Umformen folgende Gleichung für das Linienelement:
 eqnarray1327

Dieses Linienelement ist komplexer als die bisher vorgestellten, da hier nun auch die Kreuzprodukte der Farbkanäle einbezogen sind. Dadurch müssen die Ellipsen, die die Farbdiskrimination beschreiben, nicht mehr entlang der R, G, B-Achsen orientiert sein. Setzt man alle drei Gewichtungsfaktoren tex2html_wrap_inline3220, dann reduziert sich diese Gleichung zur Gleichung 14, die die Reaktion der drei Zapfentypen im Bereich der absoluten Schwelle - in dem die drei Zapfentypen unabhängig voneinander reagieren - beschreibt.

Sättigung

Das bisher geschilderte Modell gilt, wie bereits erwähnt, nur für niedrige Leuchtdichten. Um es auch bei mittleren und hohen Leuchtdichten anwendbar zu machen, führen Vos und Walraven (1972b) das Sättigungs-Modell und das Hypersaturierungs-Modell ein:

Sättigung eines Farbkanals tex2html_wrap_inline3222 tritt dann auf, wenn die neuronale Entladungsfrequenz so hoch ist, daß sie nicht mehr gesteigert werden kann, weil auf jedes Feuern des Neurons eine gewisse Refraktärzeit folgt, wie Trabka (1968a) annimmt. Die Anzahl der Entladungen tex2html_wrap_inline3224 hängt dann von der Anzahl eintreffender Photonen n folgendermaßen ab:
 eqnarray1351

wobei tex2html_wrap_inline3228 diejenige Photonenzahl bezeichnet, ab der das Phänomen der Sättigung auftritt. Vos und Walraven (1972b) führen darüber hinaus noch das Konzept der neuronalen Genauigkeitsreduzierung (accuracy reduction) tex2html_wrap_inline3230 ein, das ein Nachlassen der Genauigkeit der Information über die Anzahl der Photonen postuliert, wenn die Grenze tex2html_wrap_inline3228 erreicht wird; der postulierte numerische Zusammenhang lautet
 eqnarray1358

Bei hohen Leuchtdichten wird tex2html_wrap_inline3230 proportional zu n; dadurch wird das Linienelement aus Gleichung 16 dem von Helmholtzschen ähnlich, das ja für höhere Leuchtdichten Webersches Verhalten vorhersagt.

Übersättigung

Vos und Walraven (1972b) elaborieren das Sättigungsmodell noch weiter, indem sie zusätzlich berücksichtigen, daß die oben genannte Refraktärzeit tex2html_wrap_inline3238, in der das Neuron nicht feuern kann, selbst gewissen Schwankungen tex2html_wrap_inline3240 unterliegt. Diese Ungenauigkeit führt dazu, daß sich geringe Unterschiede der Entladungsfrequenz nicht interpretieren lassen, sobald das Phänomen der Zapfensättigung auftritt; diese zusätzliche Behinderung des Informationsflusses nennen sie Übersättigung. Die Autoren modifizieren dazu die Gleichung 18 für tex2html_wrap_inline3222 folgendermaßen:


 eqnarray1368

In dieser Gleichung bezeichnet tex2html_wrap_inline3244 die Anzahl an Quanten, für die Übersättigung auftritt; das Verhältnis von tex2html_wrap_inline3228 zu tex2html_wrap_inline3244 hängt nicht von der Zapfenart ab und lautet


displaymath1375

Wie Vos und Walraven (1972b) zeigen, hängen die numerischen Werte für die Sättigung tex2html_wrap_inline3228 eng mit denen für die Hypersaturierung tex2html_wrap_inline3244 zusammen.

Das Linienelement

Auf der Grundlage der in den vorherigen Abschnitten beschriebenen Modifikationen gelangen Vos und Walraven (1972b) nun zu einem allgemeinen Modell des Linienelements. Zuerst werden die Zapfensignale addiert, wobei gilt L = R+G+B und Y = R+G. Anschließend sättigen diese Signale entsprechend der Gleichung 17; die Genauigkeit der Weiterleitung dieser Signale wird zuerst durch die Poisson-Statistik beeinflußt und anschließend wirken sich Sättigung und Übersättigung entsprechend Gleichung 19 aus, so daß für die Genauigkeit gilt:


displaymath1385

Daraus entwickeln Vos und Walraven (1972b) das von ihnen als physikalisches Linienelement bezeichnete Modell, indem sie tex2html_wrap_inline3258 durch tex2html_wrap_inline3230 dividieren und den Term quadrieren:


displaymath1392

Die Signale der beiden Gegenfarbmechanismen werden als tex2html_wrap_inline3262 und als tex2html_wrap_inline3264 bestimmt. Aus diesen Bausteinen läßt sich nun schließlich die Formel für das Linienelement angeben, das durch die Rezeptorsignale R, G, B zustandekommt:


eqnarray1399

Hierbei sind tex2html_wrap_inline3268 folgendermaßen definiert:


eqnarray1425

Mit diesem Modell lassen sich Daten zur Farbdiskrimination recht gut vorhersagen, sowohl was die Wellenlängen-Diskrimination betrifft als auch bezüglich der Farbton-Unterscheidbarkeit.

Allgemeine Konstruktion des empirischen Linienelements

Die bisher in diesem Kapitel beschriebenen theoretisch hergeleiteten Linienelemente von Helmholtz (1891), Schrödinger (1920), Stiles (1946), Trabka (1968a, 1968b) und Vos und Walraven (1972a, 1972b) kommen zwar mit relativ wenigen Annahmen aus, sie können aber nicht alle empirischen Befunde erklären; die empirischen Linienelemente, beispielsweise die von MacAdam (1942b), machen dagegen keine Annahmen über die der Farbunterscheidbarkeit zugrundeliegenden Mechanismen. Wyszecki und Stiles (1982) nennen folgende Grundannahmen zur Bestimmung solcher Linienelemente, die sie als induktive bezeichnen:

  1. Die Wahrnehmung eines Unterschiedes zwischen zwei Reizen hängt davon ab, ob die Unterschiede in der spektralen Energieverteilung der beiden Reize von einem oder mehreren der visuellen Mechanismen entdeckt werden können.
  2. Bestimmt man die quantitativen Unterschiede zwischen den Reizen in Form von Farbwerten, die auf Farbwertkurven der zugrundeliegenden Mechanismen aufbauen, dann können diese Unterschiede so repräsentiert werden, daß die Rolle der beteiligten Mechanismen deutlich wird. Üblicherweise verwendet man für die Farbwertkurven die relativen Absorptionsspektren der drei Zapfentypen, die um die im Augenmedium auftretenden Verluste korrigiert wurden.

Unter diesen Annahmen läßt sich die quantitative Reaktion des i-ten Mechanismus auf eine Reiz mit bestimmter spektraler Strahlungsverteilung als Funktion tex2html_wrap_inline3272 von dessen Farbwerten repräsentieren. Die Reaktionsdifferenz bei geringfügig unterschiedlichen Reizen (R, G, B) und (R', G', B') läßt sich durch die Taylor-Expansion ausdrücken als


displaymath1454

wobei


eqnarray1459

Falls sich die Mechanismen der Farbwahrnehmung hinreichend stark unterscheiden, läßt sich auch die Reaktionsdifferenz untersuchen, wenn nur ein einziger der Mechanismen reagiert; dann könnte man für die Reaktion einfach den Wert der Funktion tex2html_wrap_inline3278 einsetzen. Zwei Reize können im einfachsten Fall als unterschiedlich empfunden werden, wenn der Betrag von tex2html_wrap_inline3278 über einer Schwelle tex2html_wrap_inline3282 liegt. Dieser Schwellenwert hängt im allgemeinen wiederum vom durchschnittlichen Erregungsniveau tex2html_wrap_inline3272 ab (also tex2html_wrap_inline3286) und möglicherweise auch vom Reaktionsniveau der anderen Mechanismen:


displaymath1470

Trennbarkeit der Mechanismen würde bedeuten, daß man zur Untersuchung des i-ten Mechanismus alle anderen Mechanismen blockieren könnte, ohne deren Einfluß auf die Schwelle tex2html_wrap_inline3290 zu verändern.

Man kann aber auch von probabilistischen Schwellen ausgehen, wobei dann tex2html_wrap_inline3292 die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, daß durch den Mechanismus i einen Reizunterschied wahrgenommen wird. Um Unabhängigkeit der Entdeckenswahrscheinlichkeit vom momentanen Erregungsniveau zu gewährleisten, führen Wyszecki und Stiles (1982) folgende Wahrscheinlichkeit ein:


displaymath1474

Man erhält so für alle Reaktionsniveaus tex2html_wrap_inline3152 eine Wahrscheinlichkeit von 0.5 dafür, daß der Reaktionsunterschied genau der Schwelle entspricht. Wenn die Wahrscheinlichkeiten für das Entdecken eines Unterschiedes für die einzelnen Mechanismen unabhängig voneinander sind, dann ergibt sich bei n Mechanismen die Wahrscheinlichkeit dafür, daß mindestens einer davon den Unterschied bemerkt, als


displaymath1478

Insgesamt ist die Diskriminationsschwelle erreicht, wenn tex2html_wrap_inline3302. Wenn die quantitativen Eigenschaften der Mechanismen durch die Funktionen tex2html_wrap_inline3272, tex2html_wrap_inline3306 und tex2html_wrap_inline3308 genau bestimmt sind, dann lassen sich die Reaktionsdifferenzen tex2html_wrap_inline3310 berechnen, die einem wahrnehmbaren Farbunterschied entsprechen. Definiert man


eqnarray1480

dann gilt für die Diskriminationsschwelle
 eqnarray1488

Ist tex2html_wrap_inline3312 im Vergleich zu allen anderen tex2html_wrap_inline3006 relativ groß, dann hat diese Gleichung folgende Lösung, weil tex2html_wrap_inline3316 monoton von tex2html_wrap_inline3006 abhängt:
eqnarray1491

wobei tex2html_wrap_inline3320 und tex2html_wrap_inline3322 sehr klein sind und sogar verschwinden, wenn das Verhältnis tex2html_wrap_inline3324 gegen Null geht. Aus der sogenannten Quadratsummen-Relation
displaymath1493

bzw. kurz
 eqnarray1501

folgt eine der Gleichung 20 ähnliche Beziehung:
 eqnarray1505

Diese Ähnlichkeit wird von Wyszecki und Stiles (1982) deshalb herausgestellt, weil damit gezeigt ist, daß für den Spezialfall von einem großen tex2html_wrap_inline3312 und ansonsten kleinen tex2html_wrap_inline3006 die Lösung der Quadratsummen-Gleichung 22 einen guten Näherungswert für die Lösung der Gleichung 20 für die strenge Schwellentheorie liefert. In vielen Theorien wird deshalb die Quadratsumme als eine im Schwellenbereich gültige Näherung betrachtet. Die Unterschiede zwischen den exakten aus Gleichung 20 berechneten Schwellen und den aus Gleichung 21 approximativ bestimmten hängen von der Gestalt der Wahrscheinlichkeitsfunktion tex2html_wrap_inline3330 ab.

Zur Bestimmung dieser Wahrscheinlichkeitsfunktionen tex2html_wrap_inline3330 aus empirischen Kurven zur Entdeckungswahrscheinlichkeit verweisen Wyszecki und Stiles (1982) auf die allgemeinen Farbgrenzen (general color limens), die beispielsweise von MacAdam (1942b) verwendet werden: Dabei werden die Farbwerte des einen Reizes bei (R, G, B) fixiert und diejenigen tex2html_wrap_inline3336 des anderen Reizes können im tex2html_wrap_inline3338-Farbraum entlang einer Linie, auf der der erstere Reiz liegt, variieren. Das Verhältnis tex2html_wrap_inline3340 bleibt konstant, auch wenn sich deren absoluter Wert ändert; es gilt somit
displaymath1517
wobei l, m und s den Cosinus der Richtung der Gerade zur jeweiligen Achse bezeichnen, auf der der variable Reiz wandern kann, und s die Distanz zum festen Reiz auf dieser Gerade ist. Dann läßt sich die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Unterschied entdeckt wird, berechnen als


displaymath1519

wobei S der Schwellenwert von s sein soll. Ist die Schwelle S gleich dem Abstand s, erhält man P=0.5. Der Verlauf der Wahrscheinlichkeitsfunktion tex2html_wrap_inline3330 läßt sich damit experimentell für verschiedene Reize (R, G, B) und Richtungen (l, m, n) bestimmen. Der exakte Verlauf ist gegeben durch


 eqnarray1523

wobei die Funktion E den Fehler bezeichnet:
displaymath1537

Es zeigt sich, daß keine nennenswerte Abhängigkeit dieser Funktionen von dem Primärreiztripel tex2html_wrap_inline3338 oder dem Erregungsniveau besteht.

Wyszecki und Stiles (1982) zeigen für den Fall von zwei Mechanismen zum Farbensehen, daß die Vorhersagen durch die einfacheren Quadratsummen (nach Gleichung 21) den exakten Vorhersagen nach Gleichung 20 gut entsprechen, wenn die Steigung der Wahrscheinlichkeitsfunktionen tex2html_wrap_inline3316 bei 2.56 liegt. Bei geeignetem Steigungsparameter gilt dies auch für mehr als zwei Mechanismen, wenn deren Wahrscheinlichkeitsfunktion die selbe Gestalt hat. Empirisch ermittelte Steigungsparameter erweisen sich jedoch im allgemeinen als etwas zu steil und manchmal sogar als viel zu steil.

Der einfachste Fall (Klasse-I-Mechanismen)

Im einfachsten Fall hängt die Reaktion eines Farbmechanismus nur von einem einzigen Farbwert ab; ist dies R, dann gilt


displaymath1548

und


displaymath1550

Nimmt man außerdem an, daß die Unterscheidbarkeitsschwelle ebenfalls nur vom selben Mechanismus abhängt, dann gilt tex2html_wrap_inline3374. Ein derartiger Mechanismus - man nennt ihn auch (einfachen) Klasse-I-Mechanismus - trägt zur Quadratsumme auf folgende Weise bei:


displaymath1560

Für das eigentliche Unterscheidungsvermögen ist aber nur das Verhältnis tex2html_wrap_inline3376 verantwortlich. Diese Funktion tex2html_wrap_inline3378 kann je nach zugrunde gelegtem physiologischen Modell auf verschiedene Weise zustande kommen:

  1. Als Reaktions-Funktion mit konstanter Schwelle tex2html_wrap_inline3380:
    displaymath1567
  2. Als Reaktions-Funktion mit variabler Schwelle tex2html_wrap_inline3382:
    displaymath1571
  3. Als Reaktions- und Schwellen-Funktion, bei der die Variation von R in der Funktion tex2html_wrap_inline3386 folgendem Zusammenhang unterliegt:
    displaymath1573

Auf diese verschiedenen Arten kann der Term tex2html_wrap_inline3388 im Linienelement zustande kommen. Wirken drei solcher völlig unabhängiger einfacher Mechanismen, berechnet sich das Linienelement folgendermaßen:


displaymath1580

Die Hauptachsen der daraus resultierenden Diskriminationsellipsoide sind parallel zu den Koordinatenachsen und ihre Länge in Richtung einer Achse ist die selbe für alle Reize mit gleichem Farbwert auf der entsprechenden Achse. Die Modelle von von Helmholtz (1891), Schrödinger (1920) und Stiles (1946) sind von dieser Art. Sie lassen sich aus einem physiologischen Modell mit folgenden Reaktionskurven ableiten:


eqnarray1582

mit konstanten Schwellen tex2html_wrap_inline3390, tex2html_wrap_inline3392 und tex2html_wrap_inline3394, so daß als Schwelle für einen Unterschied gilt:


displaymath1584
mit tex2html_wrap_inline3396 reellen positiven Konstanten. Diese Gleichung entspricht (bis auf die Formulierung) dem Stilesschen Linienelement in Gleichung 8. In den hier eingeführten Begriffen läßt sich das Schrödingersche Linienelement formulieren als


displaymath1593

Hier hängen die einzelnen Terme zwar auch nur von jeweils einem Mechanismus ab, aber die Schwellenwerte werden durch alle drei Erregungsniveaus bestimmt; solche Mechanismen bezeichnet man als (komplexe) Klasse I-Mechanismen. Zu dem Modell von Schrödinger (1920) kann man auf zwei Arten gelangen:

  1. Die Reaktionsdifferenz tex2html_wrap_inline3278 muß vor einem Hintergrundrauschen entdeckt werden, das vor allem vom Erregungsniveau des i-ten Mechanismus abhängt, aber auch mit der Erregung der anderen Mechanismen zunimmt.
  2. Es lassen sich aber auch unterschiedliche Reaktionsfunktionen bei einem gemeinsamen Hintergrundrauschen vorstellen.

Klasse-II- und Klasse-III-Mechanismen

Die Reaktion der Klasse-II- und Klasse-III-Mechanismen hängt von zwei bzw. drei Farbwerten ab; dies kann an Rezeptoren, die mehr als einen Farbstoff besitzen, liegen oder daran, daß auf neuronaler Ebene mehrere Rezeptortypen interagieren:

  1. Im Fall verschiedener Pigmente in einem Rezeptortyp würde die Reaktionsfunktion für den i-ten Mechanismus lauten


    displaymath1607

    wobei die Leuchtdichte tex2html_wrap_inline3404 von den Konstanten tex2html_wrap_inline3406 und tex2html_wrap_inline3408 abhängt (diese Faktoren werden für nicht zu intensive Reize deshalb als konstant angenommen, weil keine Bleichung erwartet wird). Der Schwellenwert tex2html_wrap_inline3282 ist ebenfalls von der Leuchtdichte abhängig.

  2. Ein Linienelement auf Gegenfarb-Basis ist das von Vos und Walraven (1972a, 1972b) postulierte. Noch direkter zeigt sich die Gegenfarb-Struktur in dem Linienelement-Modell von Shklover (1958, dargestellt von Wyszecki & Stiles, 1982, S. 687 ff.): Die Reaktionsfunktionen der drei Gegenfarb-Kanäle werden folgendermaßen postuliert:


    eqnarray1610
    und es werden konstante Schwellen tex2html_wrap_inline3412, tex2html_wrap_inline3414 und tex2html_wrap_inline3416 angenommen. Damit gelangt man zu folgendem Linienelement:


    eqnarray1617

    Wird dieses Linienelement auf den Fall von MacAdam (1942) - Diskriminationsellipsen in einer Ebene konstanter Leuchtdichte - angewendet, vereinfacht sich das Linienelement zu tex2html_wrap_inline3418, wobei die tex2html_wrap_inline3420 die jeweilige Schwelle bezeichnet.

Fazit

Die in diesem Abschnitt vorgestellten Linienelement-Theorien eignen sich dazu, das Farbdiskriminationsvermögen relativ gut vorherzusagen; sie können auch dazu verwendet werden, einen Farbraum so zu transformieren, daß er zu einem uniform color space wird, d.h. daß gleiche Abstände in diesem Farbraum auch gleiche Farbunterschiede bezeichnen.

Es ist jedoch kritisch anzumerken, daß diese Linienelement-Theorien nur für genau spezifizierte Bedingungen analysiert wurden. Meist handelt es sich dabei um foveales Sehen bei mittlerer Leuchtdichte, das durch den Simultanvergleich zweier Reize untersucht wird; nur das Modell von Vos und Walraven (1972b) versucht, den gesamten Bereich verschiedener Leuchtdichten zu erfassen. Die Bestimmung der Unterscheidbarkeit von Farben gleicher Helligkeit wird meist nur für monochromatische Reize bestimmt (dies müßte jedoch nicht prinzipiell so sein).

Wandell (1985) weist darauf hin, daß die metrischen Koeffizienten tex2html_wrap_inline2838 des Linienelements abhängig seien vom Adaptationszustand des Auges; nur aufgrund unterschiedlicher Adaptationszustände dürften deshalb Nichtlinearitäten auftreten. Wenn man dagegen den Adaptationszustand genau kontrolliert (bzw. konstant hält), dann läßt sich die Unterscheidbarkeit zweier Reize alleine aus der Differenz der die beiden Reize repräsentierenden Vektoren bestimmen. Wandell (1982, 1985) bezeichnet diese Überlegung als Vektordifferenz-Hypothese und betrachtet sie als Spezialfall des Linienelements.

Trifft dieses Modell zu, so könnte man das Linienelement doch zur Beschreibung von Adaptationseffekten verwenden: Man müßte dann eine Transformationsvorschrift finden, die die metrischen Koeffizieneten, die vom Adaptationskontext abhängen, vom Ausgangskontext auf den Zielkontext abbildet.

Zur Vorhersage der Befunde in dem hier durchgeführten Experiment sind die Linienelement-Theorien nur bedingt geeignet, da sie zum einen keine Aussagen über mögliche Auswirkungen der Gedächtnismethode machen und da außerdem die Kontextabhängigkeit des Farbensehens nicht von diesen Theorien berücksichtigt wird. Es kann lediglich versucht werden, zu überprüfen, inwieweit die aus den Daten von meinem Experiment bestimmten Diskriminationsellipsen mit denen übereinstimmen, die die Linienelement-Theorien vorhersagen.


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Last modified 11-5-98